Schweizerischer Eisenbahn-Amateur-Klub Zürich SEAK

Die Vereinigung der Eisenbahnfreunde

 
 



Texte und Aufnahmen von Ernst Rota


Eindrücke vom italienischen Fernverkehr


Auf der Rückreise von Sizilien begann ab Neapel das grosse Staunen über den Fernverkehr in Italien. Grund genug, mit dem mir noch verbliebenen Tag des Interrail eine Bahnexkursion zu unternehmen, um die Eindrücke zu vertiefen (hier die Route: Brig-Mailand-Bologna-Venedig-Mailand-Chiasso). Hier die wichtigsten Eindrücke:
 
Milano Centrale I
 
1.       Der Fernverkehr ist stark standardisiert. Es gibt die drei Kategorien mit folgender (Regel-) Fahrzeugausstattung:
a.      Frecciarossa (ETR 500 und ETR 1000, V max 360 km/h)
b.      Frecciargento (ETR 600, V max 280 km/h)
c.      Frecciabianca (zwei Triebköpfe und klassisches Wagenmaterial, V max 200 km/h)

2.       Der Bahnhof präsentiert sich sehr sauber und hell. Der Boden ist mit hellen Marmorplatten belegt.


3.       Zum exzellenten Servicegrad in der 1. Klasse in allen Kategorien äussere ich mich separat.
 
Bologna Centrale
 
1.       Die Reisezeit meines FR 9525 gemäss Fahrplan betrug 62 Minuten. Effektiv traf der Zug 5 Minuten früher in Bologna ein. Etwa auf einem Drittel der Strecke fuhr der FR mit 300 km/h.


2.       Der neue HG Bahnhof von Bologna ist umwerfend. Der Tiefbahnhof liegt neben dem bestehenden Bahnhof. Er dient (heute) ausschliesslich dem HG-Verkehr Mailand-Florenz). Der Tiefbahnhof verfügt über eine eigene Zufahrtsebene für den Autoverkehr. Hingegen sind die Wege zum bestehenden Bahnhof weit und schlecht signalisiert. Alle Zufahrten sind unterirdisch. Mischverkehr findet nicht statt. Ich hoffe, dass der Tiefbahnhof in ein städtebauliches oder verkehrstechnisches Konzept eingebettet ist. Sonst wäre das gigantische Bauwerk höchst überdimensioniert. Die HG-Züge – auch von NTV – waren gemäss Anzeigetafel absolut pünktlich.


3.       Im alten Bahnhof beobachtete ich einen Frecciabianca nach Bari und Taranto. Er traf mit 15 Minuten Verspätung über die alte Linie ein und war bis auf den letzten Platz besetzt. Trotz der Hitze trug der Zugchef Mütze, Krawatte und Veston.


4.       Auch in Bologna sah ich von Ferne einen (Diesel-) GTW einer privaten EVU.
 
Venezia
 
1.       Die Fahrt nach Venezia erfolgte mit einem Frecciargento. Die durchgehend doppelspurige Strecke befindet sich in einem ordentlichen Zustand. Viele der durchfahrenen Zwischenbahnhöfe wurden modernisiert. Der Zug 9418 traf aus Rom kommend als Folgezug eines 15 Minuten früher verkehrenden FA ein und war sehr gut besetzt.


2.       Unterwegs sah ich ein paar kleinere Containerterminals ohne grösseren Betrieb.


3.       Der Zug hielt kurz in Padua. Der Bahnhof beeindruckte durch Sauberkeit und Ordnung.


4.       In Venezia Mestre sah ich mehrere GTW und KISS von Stadler der (Ferrovia) Provincia del Veneto. Zwischen dem Festland und Venedig verkehrten neben der Bahn in dichter Folge städtische Busse und neue Trams.


5.       Der Bahnhof von Venezia umfasst 15 Geleise, davon vier in einem nicht überdachten Nebenbahnhof. In der repräsentativen Haupthalle sassen oder lagen Hunderte von unter der Hitze leidenden Passagieren.


6.       Der ETR 610 aus Genf fuhr kurz hinter uns pünktlich auf die Minute in Venezia ein. Er war gut besetzt.


7.       Der Zugverkehr ab Venezia ist sehr dicht.


8.       Ab Venedig fahren Nachtzüge nach Wien und Paris und ein paar wenige Tagzüge nach Wien und München. Kurz vor uns traf der EC aus Österreich in Venezia ein. Er bestand aus Wagen der ÖBB und wurde von einer Taurus-Lokomotive gezogen. Der Zug wird in Italien von TreNord geführt und ist als solcher auf den Fahrplänen gekennzeichnet.
 
Milano Centrale II
 
1.       Die Fahrt von Venezia nach Rom erfolgte mit einem mittelmässig besetzten Frecciabianca 9732. Zwischen Padua und Venezia liegt parallel zur Stammstrecke ein relativ neues Gleispaar für den HG-Verkehr. Hier fuhr mein Frecciargento 9418 aus Bologna mit 220 km/h.


2.       Ab Pavia düstert sich das Bild der Bahnhöfe ein. Vicenza geht noch, aber Brescia – hier werden die Gleisanlagen stark zurückgebaut – präsentiert sich schlecht. Das gilt auch für das Stadtbild vom Zug aus.


3.       Auch die Strecke und die Bahnhöfe zwischen Brescia und Milano sind teilweise schäbig.


4.       Immerhin konnte man Teile der neuen sich im Bau befindenden HG Strecke von Milano Richtung Venezia sehen.


5.       In der Gesamtheit ein deprimierendes Bild bietet der grosse Güterbahnhof von Milano. Etwa die Hälfte der Gleisanlagen sind ausser Betrieb und belegt mit unzähligen abgestellten Güterwagen und Lokomotiven – ein grosser Teil wohl nicht mehr fahrtüchtig.


6.       Ab Treviglio – Endpunkt der neuen S-Bahn-Linie von Varese (!) hellt sich das Bild plötzlich auf. Die Fernzüge verkehren auf einem eigenen Trasse, und die Stationen der S-Bahn sind meist neu und schön gestaltet.


7.       Der Aufenthalt in Milano erlaubte einen kurzen Spaziergang durch das Bahnhofsgebäude. Ich war enorm beeindruckt. Der Raum unter der Haupthalle war bis auf das Niveau der Strasse ausgehöhlt (oder dem Publikum zugänglich gemacht) worden. Die Innenausstattung ist schlichtweg feudal. Leistungsfähige Rollbänder transportieren die Besucher durch die Geschosse. Auch der Zugang zu der unter dem Bahnhof durchfahrenden U-Bahn ist effizient.
 
Zürich HB
 
1.       Die Rückfahrt nach Zürich erfolgte mit dem EC 22 (ETR 610). Der Zug fuhr pünktlich ab. In der 1. Klasse sassen 27 Passagiere und in der zweiten Klasse etwa 140 Passagiere.


2.       Der Zug fuhr sehr langsam, umfuhr Como und traf mit 12 Minuten Verspätung in Chiasso ein. Ich fragte mich nach den Gründen dieser Verspätung. Werden die CH-Züge einfach gemobbt?


3.       In Bellinzona betrug die Verspätung zehn Minuten. Da unser EC den IR nach Basel bei Pollegio fliegend überholen konnte, traf der Zug in Zürich pünktlich ein.


4.       Ich befragte die Zugbegleiter zu verschiedenen Aspekten. Unter anderem erfuhr ich, dass die ETR 610 etwa gleich unzuverlässig seien wie die ETR 470. Bei unserem Zug funktionierten in vier Wagen die Magnetschienenbremsen nicht, weshalb man nur Zugreihe R fahren konnte.
 
Kommentar
 
1.       Nichts mehr vom alten FS-Mief. Gepflegte Züge, repräsentative Stadtbahnhöfe, neue Strecken und sicher auftretendes Zugpersonal in Italien. Eine neue Bahn.


2.       Ich frage mich, weshalb Trenitalia (und weitere europäische Bahnen) in grosser Zahl ETR 600 einsetzen und es nur die SBB nicht schaffen, die ETR 610 korrekt zu betreiben. Dies sollte im Rahmen einer unabhängigen Prüfung abgeklärt werden.


3.       Ich begreife die Beschaffung der Bene-Züge. Diese werden wohl hauptsächlich für den Personenverkehr nach Italien beschafft und sollen gemäss den Vorstellungen der SBB über Milano hinaus fahren. Ein neuer Zugstyp mit vielen Risiken. Die Nachbeschaffung von ETR 610 hätte ihre Integration in die Systematik von Trenitalia als Freciaargento ermöglicht. Denkbar wäre auch gewesen, den internationalen Verkehr nach Italien Trenitalia zu übertragen – die SBB haben ihre Schwächen, diesen Verkehr zu betreiben, in den letzten zwanzig Jahren zur Genüge bewiesen.


4.       Und noch ein Wort zu den Bahnhöfen. Die Schweizer Flughäfen erreichen durchaus Weltniveau. Weshalb gelingt das den Schweizer EVU- abgesehen von wenigen Ausnahmen -  bei den Bahnhöfen nicht (mehr)? Und weshalb stösst sich niemand an diesem Missstand? Meine Antwort dazu später.


Bodenbelag in Milano Centrale





Die MIB-Haltestelle Aareschlucht Ost


Nachstehend ein paar Bilder von einer ganz speziellen Station der Meiringen Innertkirchen-Bahn. Der Zugang befindet sich in einer riesigen Gletschermühle. Die Türe zum Bahnsteig – bzw. zur Eingangstüre des Triebwagens – öffnet sich erst beim Halt des Zuges. Billette kauft man per SMS. Das Haslital ist wirklich einen Besuch wert.




 
 
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